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Rassismus am Arbeitsplatz: Wie gehen wir damit um? – ein Interview mit Dr. Beyhan Şentürk

© Kfir Harbi

Rassismus am Arbeitsplatz – ein Thema, das viele betrifft, aber selten offen besprochen wird. Auch in Berlin, einer Stadt, die für Vielfalt und Weltoffenheit steht, erleben Menschen Ausgrenzung im Berufsalltag – mal offensichtlich, oft subtil. Was bedeutet das für Fachkräfte, die hier leben und arbeiten wollen? Und wie können Unternehmen eine wirklich inklusive Arbeitskultur schaffen?

Dr. Beyhan Şentürk ist Coach und Diversity-Trainerin. Seit 2021 begleitet sie Unternehmen und Organisationen dabei, Rassismus zu erkennen, abzubauen und Vielfalt aktiv zu fördern – im Training wie im Coaching. Sie sensibilisiert Führungskräfte, vermittelt Methoden und gibt Menschen, die selbst Rassismuserfahrung gemacht haben, konkrete Werkzeuge für mehr Selbstbehauptung an die Hand. Davor war sie 13 Jahre lang für eine politische Stiftung tätig, u. a. im Ausland. Sie ist promovierte Politikwissenschaftlerin und definiert sich selbst als Person of Color.

In unserem exklusiven Interview spricht Dr. Şentürk über Mikroaggressionen, strukturelle Barrieren, die Verantwortung Berliner Unternehmen und darüber, warum echte Veränderung immer bei uns selbst beginnt. Jetzt lesen!

Berlin gilt als weltoffene Stadt. Dennoch erleben Menschen hier immer wieder Rassismus im Berufsleben. Welche Herausforderungen beobachten Sie konkret?

Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – kein spezifisches Problem von Berlin oder Deutschland. Wichtig ist, dass wir Rassismus als strukturelles Thema anerkennen, klar benennen und konsequent daran arbeiten, ihn abzubauen. Täglich und überall. Dabei lassen sich zwei Hauptaspekte unterscheiden:

Zum einen geht es um juristisch relevante Diskriminierungen, etwa im Bewerbungsprozess: Werden Bewerber:innen mit gleicher Qualifikation auch gleich behandelt? Haben alle im Team die gleichen Aufstiegschancen und werden fair entlohnt? Diese Formen sind rechtlich verfolgbar – kommen aber zum Glück seltener vor.

Zum anderen begegnen Fachkräfte im Arbeitsalltag häufig sogenannten Mikroaggressionen – subtilen, oft alltäglichen Bemerkungen oder Verhaltensweisen, die abwertend wirken. Diese sind juristisch schwer greifbar, führen aber langfristig zu Ausgrenzung und psychischer Belastung.

Ein Beispiel sind vermeintliche Wortwitze oder Vorurteile, die sich – bewusst oder unbewusst – im Sprachgebrauch festgesetzt haben oder in den Köpfen der Belegschaft bestehen. Witze über Menschen aus Osteuropa sind ein typisches Beispiel dafür. Ich beobachte aber auch immer wieder Situationen wie diese: Ein IT-Unternehmen wirbt gezielt Fachkräfte aus Indien an – hält dann aber alle Teamsitzungen ausschließlich auf Deutsch ab. Anfangs sprechen die neuen Kolleg:innen sprechen die Sprache noch nicht fließend genug, um vollständig teilzunehmen. Das ist Ausgrenzung. Und ja – das ist Rassismus.

Gibt es bestimmte Arbeitsbereiche, in denen Rassismus besonders häufig vorkommt?

Wissenschaftlich lässt sich das nicht eindeutig belegen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass rassistische Ausschlüsse umso wahrscheinlicher werden, je höher die angestrebte Position ist – also mit zunehmender Macht und Verantwortung.

Eine Studie der Universität Linz zeigt das deutlich: 1.500 nahezu identische Bewerbungen wurden an deutsche Unternehmen verschickt – nur Name und Foto waren unterschiedlich. Mal hieß die Person Sandra Bauer, mal u. a. Meryem Öztürk. Die vermeintliche Bewerberin mit deutschem Namen ohne Kopftuch auf dem Foto wurde signifikant häufiger eingeladen als die Bewerberin mit erkennbar migrantischem Hintergrund oder mit Kopftuch – und das bei gleicher Qualifikation. Je höher das angestrebte Gehalt, die Gestaltungsmacht oder die Reputation des Jobs, desto größer die Diskriminierung.

Was bedeutet antirassistische Selbstbehauptung im Arbeitsalltag? Für Menschen, die sich mit Rassismus auseinandersetzen müssen, und andere?

Selbstbehauptung bedeutet nicht zu schweigen. Mikroaggressionen und Diskriminierungen müssen angesprochen werden – offen, klar und konstruktiv. Menschen, die sich mit Rassismus auseinandersetzen müssen sollten ermutigt werden, Ressourcen im Unternehmen einzufordern: etwa durch Antirassismus-Trainings im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements.  

Denn: Menschen, die Diskriminierung erleben, haben ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen. Prävention ist hier entscheidend – durch Weiterbildung, strukturelle Veränderungen und vor allem durch Solidarität im Team. Ein offenes, respektvolles Miteinander verbessert das Arbeitsklima für alle. Rassismus betrifft uns alle und jede Person sollte sich deshalb zu diesem Thema positionieren.

Welchen Einfluss hätte eine konsequent inklusive Arbeitskultur auf Teams und Unternehmen?


Zunächst profitieren die Menschen, die sich mit Rassismus auseinandersetzen müssen, direkt davon – sie fühlen sich sicherer und wohler. Das wirkt sich auf die gesamte Teamdynamik aus

Wenn sich alle im Team respektiert fühlen, steigt die Motivation, die Produktivität und letztlich auch die Qualität der Arbeit. In einer diskriminierungsfreien Umgebung können Kreativität und Innovation ihr volles Potenzial entfalten.

Welche Tipps haben Sie für Fachkräfte mit Rassismuserfahrung und Kolleg:innen, um sich erfolgreich im Unternehmen zu behaupten?

1. Bildung: Beschäftigen Sie sich aktiv mit dem Thema – ob durch Bücher, Podcasts oder Social Media. Wissen schafft Handlungsspielraum.

2. Kommunikation: Bleiben Sie souverän und adressieren Sie Missstände klar. Suchen Sie das Gespräch mit Führungskräften oder HR.

3. Fragen stellen: In herausfordernden Situationen kann ein einfaches „Wie bitte?“ den Druck auf das Gegenüber zurückgeben. Wer fragt, der leitet.

4. Selbstfürsorge: Achten Sie auf Ihre mentale und körperliche Gesundheit. Der Umgang mit Diskriminierung kostet Kraft. Schützen Sie sich bewusst.

Wie kann ich mich selbst schützen, wenn ich immer wieder Diskriminierung erlebe?

Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf – all das klingt banal, stärkt aber Ihre Resilienz. Auch Achtsamkeit und Atemübungen helfen, in Stresssituationen handlungsfähig zu bleiben. Und: Suchen Sie sich Unterstützung. Sprechen Sie mit vertrauten Menschen, fragen Sie nach Hilfe und nehmen Sie diese dankend an. Auch Beratungsstellen bieten professionelle Unterstützung.

Wie unterstützen Sie im Coaching Menschen mit Rassismuserfahrung?

Ich arbeite auf Augenhöhe. Ich bin die Expertin für das Coaching – meine Klient:innen für ihr Leben. Viele bringen bereits enorme Kompetenzen mit, die durch Diskriminierung oft übersehen werden. Diese Stärken wieder sichtbar zu machen, ist zentral.

Es geht nicht darum, Menschen an eine fehlerhafte Arbeitswelt anzupassen, sondern darum, ihre Zufriedenheit, Resilienz und den Selbstwert zu stärken. Dazu gehört auch, überkommene Glaubenssätze, wie z. B. „Wenn du es in diesem Land schaffen willst, musst du besser sein, als alle anderen.“, zu hinterfragen. Niemand muss sich übermäßig beweisen, um Anerkennung zu verdienen.

Wie können sich Fachkräfte mit Rassismuserfahrung gezielt auf die Berliner Arbeitswelt vorbereiten?

Berlin ist im gesamtdeutschen Vergleich sehr divers – aber auch hier gibt es Herausforderungen. Mein Rat: Bleiben Sie aufmerksam, aber zuversichtlich.

Wenn Sie sich noch in der Bewerbungsphase befinden, rechnen Sie damit, mehr Bewerbungen schreiben zu müssen als andere. Falls Ihnen dafür die nötigen Ressourcen fehlen, machen Sie sich aktiv sichtbar. Zeigen Sie, wer Sie sind – zum Beispiel mit einem Fachartikel, einem YouTube-Video oder durch die Teilnahme an Netzwerktreffen. So können Personalverantwortliche Ihre Kompetenzen besser mit Ihrer Person verknüpfen.

Schauen Sie außerdem genau in Ihr Netzwerk: Wer könnte Ihnen konkret bei der Jobsuche helfen? Überlegen Sie, wo Sie hinwollen und schauen Sie dann, wo es gut ist, präsent zu sein und welche Menschen unterstützen können.

Welche Verantwortung haben Berliner Unternehmen, um eine wirklich inklusive Arbeitskultur zu schaffen?

Diese Verantwortung ist gesetzlich verankert – zum Beispiel im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Unternehmen müssen Diskriminierung aktiv verhindern. In Berlin gilt für Führungskräfte im öffentlichen Dienst sogar eine Fortbildungspflicht im Bereich Diversity. In der Privatwirtschaft ist das freiwillig – aber immer mehr Unternehmen setzen auf Diversity-Management. Denn: Inklusive Strukturen steigern nachweislich den unternehmerischen Erfolg.

Was können Führungskräfte konkret tun, um Mitarbeitende mit Rassismuserfahrung zu unterstützen?

Reflektieren Sie Ihre Haltung. Sprechen Sie Diskriminierung offen an – sachlich und lösungsorientiert. Machen Sie das Thema enttabuisiert besprechbar. Und: Haben Sie den Mut, Fehler einzugestehen und dazuzulernen. Es ist ein Prozess – und jeder Schritt zählt.

Vielen Dank für das Interview, Beyhan.