Hintergrund: Ich komme aus Taiwan. Kurz vor meinem Abschluss in Taiwan überkam mich das starke Bedürfnis, mich unbedingt weiterzubilden. Daher bin ich in 2009 direkt nach meinem Bachelor von Taipeh an die Universität Heidelberg gegangen, um Übersetzungswissenschaft (DE/EN) zu studieren. Nach meinem Abschluss in Heidelberg zog ich nach Berlin – und bin bis heute hier geblieben.
1. Wo arbeitest Du?
Als ich noch in Taiwan war, bekam ich eine Stelle bei der taiwanischen Niederlassung von Edelman, der US-amerikanischen PR-Agentur. Diese Erfahrung wurde zum Start- und Orientierungspunkt meiner beruflichen Laufbahn. Selbst später, als ich als Praktikantin bei Daimler in Esslingen arbeitete – eine großartige Zeit mit tollen Kollegen und vorbildlichen Unternehmensstrukturen –, spürte ich dennoch, dass mein Herz langfristig für PR und Marketing schlägt. Daher habe ich immer versucht, in Deutschland in diesem Bereich Fuß zu fassen, auch wenn es als Nicht-Muttersprachler oft nicht einfach ist.
Nach viereinhalb Jahren im Brand Management in der Cross-Border E-Commerce Branche kreuzte sich mein Weg mit Storymaker. Es ist eine PR-Agentur, die deutsche und asiatische Märkte in beide Richtungen verbindet – ein absoluter Traumtreffer für mich! Die Zeit dort war beruflich wie persönlich von unschätzbarem Wert. Auch wenn sich unsere Wege nun aufgrund der schwirigen wirtschaftlichen Lage trennen, bin ich zutiefst dankbar für alles, was Storymaker mir ermöglicht hat.
2. Warum hast Du dich für Berlin entschieden?
Ich komme aus Taipeh, der Hauptstadt Taiwans. Wer asiatische Metropolen wie Shanghai, Tokio oder Seoul kennt, kann sich leicht vorstellen, wie Taipeh ist: lebendig, bunt und niemals still. Berlin ist für mich die deutsche Stadt, die meiner Heimat am ähnlichsten ist. Hier treffen Menschen und Kulturen aus der ganzen Welt aufeinander, es gibt unglaublich viele Möglichkeiten, und das Leben fühlt sich gleichzeitig flexibel und angenehm unkompliziert an.
3. Was liebst du an Berlin?
Als ich frisch von Heidelberg nach Berlin gezogen bin, war ich zuerst oft überrascht – manchmal sogar ein bisschen erschrocken – von der typischen „Berliner Art“. Berliner können ihre Freundlichkeit in einem Ton äußern, der fast wie eine Beleidigung klingt: etwas grob, aber herzlich und komplett unverstellt. Man muss sich einfach nur daran gewöhnen.
Und dann gibt es noch diese Bequemlichkeit und Flexibilität der Stadt, wie ich sie sonst nirgendwo in Deutschland erlebt habe. Man muss sich keine Sorgen machen, dass die Läden schon um 18 Uhr schließen, dass es kaum Freizeitangebote gibt oder dass man nach einem Treffen um 21 Uhr keine gut angebundenen Öffis mehr nach Hause findet (das sind alles echte Erfahrungen von mir).
Klar, manchmal treibt mich diese Stadt wirklich in den Wahnsinn, aber Berlins Weltoffenheit steht außer Frage. Heidelberg bleibt zwar der Ausgangspunkt meiner ganzen Deutschland-Reise, aber heute bin ich bereit, Berlin als mein zweites Zuhause zu nennen.
4. Welche Herausforderungen musstest du überwinden und wie hast du das geschafft?
Das ist eine komplexe Frage, denn eigentlich bringt jede Phase unzählige Rückschläge und Frustrationen mit sich: das Verlassen der Komfortzone, die Trennung von der Familie und Freunden, das Ankommen in einer völlig Fremdkultur mit einer Fremdensprache, der Wettbewerb mit den Locals auf dem Arbeitsmarkt und vieles mehr. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich bei meinem allerersten Notfallaufenthalt im Martin-Luther-Krankenhaus ganz allein im Zimmer vor Angst geweint habe. Erst im Rückblick wurde mir klar, dass all diese negativen Gefühle Teil eines großen Anpassungsprozesses waren.
Lange Zeit wollte ich mir selbst und anderen beweisen: Das schaffe ich als Ausländerin auch! Deshalb war ich im Studium, im Job und sogar im Freundeskreis oft die einzige Asiatin im Raum. Ich wollte unbedingt als „asiatische Frau, die total eingedeutscht ist und Deutsch wie ein Muttersprachler spricht“ wahrgenommen werden. Ich dachte, nur dann bin ich hier wirklich integriert und willkommen. Doch dieser verbissene Gedanke hat mich nur erschöpft und frustriert. Denn egal, wie viel Mühe ich mir gebe, bin ich halt keine Deutsche.
Das Leben bringt einem irgendwann bei, wie man „gesund“ leben soll. Den Aha-Moment hatte ich erst vor nicht allzu langer Zeit: Meine migrantische Identität ist keine Schwäche, sondern eine Besonderheit, die mich auszeichnet. Auch wenn ich nicht wie ein Muttersprachler klinge, beeinträchtigt das weder meine Professionalität noch hindert es mich daran, gute Arbeit zu leisten.
Neue Herausforderungen wird es immer geben. Aber eine fokussierte sowie positive Haltung hat mich durch die letzten 16 Jahre getragen. Und ich bin sicher, dass sie mich auch durch die kommenden führen wird.
5. Wer oder was hat dir geholfen, dich in Berlin einzuleben?
Mein Freund war ein gebürtiger Berliner und hat mir unglaublich viel geholfen – bei den Verhandlungen mit der Ausländerbehörde (If you know, you know), bei komplizierten Papierkram oder einfach dabei, mich in der Stadt zurechtzufinden. Ich bin sehr dankbar, dass er mich in dieser intensiven Relocation-Phase begleitet hat.
Was mein soziales Leben angeht, sah es dagegen ganz anders aus: Ich kannte absolut niemanden. Mein Netzwerk habe ich mir Stück für Stück aufgebaut – durch Empfehlungen, Bekanntschaften und über die Arbeit. Heute habe ich einen Freundeskreis, der aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommt. Einige Freundschaften sind tatsächlich aus der Arbeit entstanden. Und ich bin sehr zufrieden mit dem Punkt, an dem ich jetzt stehe.
6. Welchen Tipp würdest du jemandem geben, der neu in Berlin ist?
Sei stolz auf dich, dass du es so weit geschafft hast! Verklemmtheit passt nicht zu Berlin. Öffne dich dem einzigartigen Charme dieser Stadt. Berlin ist groß – das bedeutet, du kannst ihre vielen Facetten entdecken: mal freier Künstler, mal stiller Geschichtenerzähler, mal kreativer Jungunternehmer oder ernsthafter Politiker. In Berlin findest du am Ende immer die Lebensweise, die wirklich zu dir passt. Willkommen und viel Spaß!
