Von Nairobi bis New York: Warum Berlin global ein attraktiver Ort zum Arbeiten und Leben ist – ein Gastartikel von Burkhard Volbracht

Hinweis: Dieser Gastartikel gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors bzw. der Autorin wieder, nicht notwendigerweise die Ansicht der Redaktion.
Berlin the place to be. Das klingt für viele Ohren erst einmal total richtig und nachvollziehbar. Aber es ist natürlich vor allem eine Frage der Perspektive. Für jemanden, der in London im IT-Umfeld arbeitet und dort Miete bezahlt, ist Berlin ganz sicher eine Alternative, die man sich leichter leisten kann. Was wiederum jemand aus Leipzig vielleicht ganz anders sieht.
Spannend ist es jedoch, wenn man zum Beispiel aus Afrika nach Deutschland schaut. Dann ist Berlin für die allermeisten jungen Leute kein Sehnsuchtsort. Nicht weil man den Ort nicht mag oder cool findet, sondern weil man ihn schlicht nicht kennt. Viel weiter oben auf der „Bucket List“ stehen Orte wie London, New York oder Ontario. Ein ganz banaler Grund ist, dass Berlin im Fußball nicht in der Champions League spielt. Bayern München und Borussia Dortmund kennen viele noch – und Fußball ist wirklich ein Riesending in Afrika. Liverpool oder Manchester kennt dagegen fast jedes Kind. Auch weil es englischsprachige Vereine sind. Deswegen auch Ontario in Kanada. Schlicht, weil englischsprachige Länder für englischsprachige Afrikaner:innen viel naheliegender sind.
Berlin ist in Afrika nicht bekannt für seine Arbeitgeber:innen – auch wenn BMW, Mercedes Benz oder Siemens in der Stadt sind und hier produzieren. Das weiß nur nahezu niemand. Wo die Verbindungen von Marken und Stadt schon sichtbarer werden, sind Veranstaltungen wie der Berlin-Marathon. Dieses Megaevent ist wie ein Scheinwerfer und rückt Berlin und Sportmarken wie Adidas, die ihren Innovationshub in Berlin haben, ins gemeinsame Rampenlicht. Über solche international bekannten Ereignisse wird nachvollziehbar, dass Berlin eine internationale Stadt ist, in der man mit Englisch sehr gut zurechtkommen kann.
Um in der Sportsprache zu bleiben, mag Berlin wie ein Außenseiter für viele jungen Fachkräfte wirken, die sich noch nicht wirklich mit der Stadt beschäftigt haben. Schaut man aber näher hin, wird aus dem Außenseiter schnell ein Titelfavorit mit vielen guten Karrieremöglichkeiten.
Warum sich afrikanische Fachkräfte für eine Karriere in Berlin interessieren dürfen
Für viele jungen Leute aus Afrika sind die Karriereaussichten in ihrem Heimatland eher düster. Zwar legen immer mehr Regierungen Programme auf, um Digitalisierung und IT-Kompetenzen großflächig auszurollen, oft fehlen aber adäquate Arbeitsplätze in der Industrie. IT ist die große Zukunftshoffnung in Afrika und in Asien. Viele junge Leute hoffen darauf, dass man eines Tages Europa (oder die USA) digital überholen kann. „Leap frogging“ ist ein geflügeltes Wort, welches man sehr oft vor Ort hört, wenn man mit jungen Leuten in Afrika spricht. Ein anderes ist „Leadership“. Viele der jungen Fachkräfte glauben an den technologischen Fortschritt mit der damit verbundenen Hoffnung auf eine bessere Zukunft – mit mehr und höher bezahlten Jobs. Auch deswegen lohnt der Blick aus Afrika bzw. dem globalen Süden wunderbar auf Berlin.
Berlin ist ein Ort des Wandels. Der digitale Wandel Deutschlands wird zum großen Teil vom Start-up-Ökosystem mit den Innovationshubs von hier aus vorangetrieben. Mobile Payment ist ein Riesenthema in Afrika, einige der größten Fintechs in Deutschland sind in Berlin entstanden. Auch das ist ein Beispiel dafür, dass Themen und Interessen in Afrika und Berlin oft parallel laufen.
Und in den vielen jungen Unternehmen spielt „Leadership“ eine wesentliche Rolle. Flache Hierarchien und flexibles Arbeiten sind Themen, die in Berlin wichtig sind, während im klassischen Mittelstand vielleicht dort noch eher traditionell deutsche Personalarbeit betrieben wird. Wer also sehr daran interessiert ist, etwas zu bewegen und zu verändern, findet in Berlin viele gleichgesinnte Mitstreiter:innen.
Karriereperspektiven in Berlin
Was Berlin aus Sicht afrikanischer oder asiatischen Talente so spannend macht, ist, dass hier die Zukunftsarbeitsplätze entstehen. Berlin ist in den vergangenen Jahren durch wirtschaftliche Krisen meistens besser durchgekommen als andere Regionen in Deutschland, weil in der Hauptstadtregion nicht klassische Industrien dominieren. Die IT-Szene ist schnell wachsend, Berlin hat ein sehr starkes Gesundheitscluster, der Wissenschaftsbereich ist groß mit international renommierten Playern wie dem Robert-Koch-Institut. Wer also daran interessiert ist zu sehen, was die „Future Jobs“ sind, wird in Berlin fündig. Jobtitel wie „UX/UI Designer:in“ oder „Scrum-Master“ haben von Berlin aus den Einzug in die deutschen Personalabteilungen gestartet.
Und der erste Karriereschritt macht sich in Berlin oft leichter als anderswo.Berlin hat sehr viele international ausgerichtete Universitäten und Fachhochschulen mit englischsprachigen Studienangeboten. Viele dieser Studiengänge sind - anders als in UK oder in USA - kostenfrei. Und die öffentlichen Universitäten verfügen über einen sehr guten Ruf bei deutschen Arbeitgeber:innen. Mit einem guten Uniabschluss lässt sich in Berlin relativ schnell ein Arbeitsplatz finden. „German engineering“ ist und bleibt ein Markenzeichen, dass auch international bei der Berufswahl hilft.
Berlin verfügt dabei über eine, wenn nicht die internationalste Belegschaft in Deutschland. Auch die afrikanische Community ist sehr groß. So hat zum Beispiel das Netzwerk Black in Tech Berlin seinen Sitz in der Hauptstadt. Die indische Community ist einer der größten in der Stadt und sehr gut untereinander vernetzt.
„Word of mouth“ ist eines der besten Mittel, um einen Job zu finden. Die internationalen Netzwerke sind groß, etliche der zugezogenen Fachkräfte haben mittlerweile Jobs in Management-Positionen und können so Alumni helfen, auch hier Fuß zu fassen. Weil: Fachkräfte werden händeringend gesucht. Auch wenn der Altersdurchschnitt in Berlin geringer ist als im Bundesdurchschnitt, die demografische Zeitbombe tickt auch hier. Was eben viele Möglichkeiten eröffnet.
Was in Gesprächen mit Studierenden im Ausland - sei es in Asien oder in Afrika - immer wieder auffällt, ist, dass die großen Marken dort bekannt sind. Diese internationalen Konzerne wie Bosch, Telekom oder Audi sind dann auch der große Karrierewunsch. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass gerade die großen Arbeitgeber:innen einerseits auch von den hiesigen Fachkräften stark im Fokus stehen, anderseits aber auch Krisen oft Entlassungswellen drohen. Vielmehr lohnt der Blick auf den Mittelstand– auf die sogenannten „Hidden Champions“. Ein wunderbares Beispiel ist das Unternehmen Kryolan aus Berlin. Ein Name, den die wenigsten jemals gehört haben dürften. Aber es gibt fast kein Theater dieser Erde, in dem nicht die Schmink-Produkte von Kryolan in der Maske hinter der Bühne benutzt wird. Von diesen Weltmarktführer:innen in Nischen gibt es sehr viele in der Stadt. Da wird der Arbeitsmarkt dann richtig spannend.
Wer sich also für Karriereoptionen in Deutschland und Berlin interessiert, sollte hinter die Kulissen (Jobportale) schauen – in die Branchen und Zukunftsfelder. Da trifft man die innovativen Unternehmen, die heute noch nicht wissen, welche Jobs sie morgen ausschreiben. Mein Tipp: Dranbleiben und sich Zugänge über Inhalte verschaffen.
Berlin bietet, was in vielen afrikanischen Städten fehlt
Berlin ist spätestens nach dem Fall der Mauer als Stadt bekannt, die sich ständig verändert. Dennoch sind Kontinuität und Stabilität zwei Aspekte, die in Deutschland und in Berlin ganz zentral sind. Das bezieht sich vor allem auf wirtschaftliche Stabilität und Absicherung. Deutschland hat ein starkes Sozialsystem, Krankenversicherung und Rechte für Arbeitnehmer:innen.
Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt – es gibt auch Krisen und Sorgen. Aber grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass das Leben in geordneten Bahnen verläuft. Es gibt einen funktionierenden öffentlichen Personenverkehr mit Bussen, Trams, U- und S-Bahnen. Man muss sich nicht jeden Morgen durch ein Verkehrschaos kämpfen. Pendelzeiten von einer Stunde sind eher die Ausnahme. Aber es geht keineswegs so wild und chaotisch zu wie morgens und abends in Mumbai, Kampala, Nairobi oder Lagos. Da bleibt mehr Zeit für das bei den Deutschen beliebte „Feierabendbier“ und die Familie.
Sprache, Kultur und was sonst noch wichtig ist
Viele gut ausgebildete Fachkräfte in Afrika haben gar nicht so sehr den Wunsch, aus der Heimat wegzuziehen. Afrika als Wachstumskontinent bietet perspektivisch Chancen, und viele afrikanische Länder liegen annährend in der gleichen Zeitzone. Da bietet sich „Remote Working“ unter Umständen an. Hier spielt auch die Frage rein, ob man zwingend Deutsch lernen muss, wenn man doch umsiedeln will. Für den Berliner Arbeitsmarkt gilt das nicht. Es gibt mittlerweile viele Unternehmen, in denen Englisch die Geschäftssprache ist. Auch im täglichen Leben kommt man mit Englisch gut zurecht. Aber es besteht die Gefahr, dass sich „Expat Bubbles“ bilden. Diese kann man am besten überwinden, wenn man doch ein wenig Deutsch lernt. Das eröffnet langfristig definitiv mehr Karrieremöglichkeiten.
Für mich ist es immer amüsant, sich über die deutsche Sprache in Afrika zu unterhalten. Allein die Frage: Was ist der Unterschied zwischen einer Mauer und einer Wand? Und Achtung, liebe Afrikaner:innen, viele denken, dass man mit Französisch in Berlin weiterkommt, da Frankreich das Nachbarland von Deutschland ist. Aber das ist schwierig. Es gibt zwar ein französisches Viertel in Berlin, aber grundsätzlich ist Englisch als Fremdsprache sehr dominant. Und neben Aktivitäten wie dem Karneval der Kulturen oder dem Afrika Food Festival gibt es gerade in Berlin ein riesiges Kulturangebot, dass sich in deutscher Sprache auch leichter erschließt als in englischer Sprache.
Deswegen empfehle ich jungen Talenten, die sich fragen „Remote“ oder „Relocation“, immer dazu, es doch mal ein, zwei Jahre im Ausland zu versuchen. Dieser Perspektivwechsel wird massiven Einfluss auf die weitere Karriere haben.
Oft sieht der erste Schritt aus fernen Ländern sehr teuer aus. Visa, Chancenkarte, Blocked Account, Berufsanerkennung sind alles Hürden, die hoch aussehen. Aber es gibt auch viele Initiativen, die beim ersten Schritt unterstützen und Wege mit Stipendien, gebührenfreien Unis und Co aufzeigen.
Nur vor Ort kann man fühlen, riechen und spüren, was anders ist. Gerade aus afrikanischer Sicht lernt man Deutschland bei zwei Gelegenheiten gut kennen. Wer nachts bei keinem Verkehr jemals an einer roten Fußgängerampel stand, kennt das. Wir Deutsche bleiben stehen. Fun Fact: in Großstädten eher nicht. Und dann einmal mit dem Auto rund um den Großen Stern in Berlin fahren. Das ist ein zentraler Platz mit einem vier- bis sechsspurigen Kreisverkehr. Wir Deutsche brauchen Ampeln, sonst kommen wir da nicht unfallfrei aus dem Kreis heraus. Wir lieben Regeln. Etwas Chaos ist immer in Berlin, aber „Ordnung muss sein“ – das ist eine deutsche Faustregel. Insofern sind Deutschland und Berlin ganz sicher eine Alternative zu London, New York oder Ontario.
Mein Fazit: Wer Freiheit liebt, für den ist Berlin genau richtig. Freiheit plus hohe Lebensqualität, berufliche Sicherheit und internationale Karrieremöglichkeiten. Den Rest - also Sprache, Kultur und Ordnung - kriegt man dann schon hin.