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Zwischen Warenkorb und Künstlicher Intelligenz: So divers ist der Handel in Berlin

Dara-Kossok-Spieß
© Dara-Kossok-Spieß

Der Handel und E-Commerce gehören zweifellos zu den größten Branchen Berlins. Mehr als 120.000 Berliner:innen arbeiten hier allein im städtischen Einzelhandel, mehr als 6.000 E-Commerce-Unternehmen haben sich bereits in Berlin angesiedelt. Doch wie weit ist eigentlich die Entwicklung der Branche im Bereich Diversity? Eine interessante Frage, der wir in einem spannenden Interview mit Dara Kossok-Spieß auf den Grund gehen.

Dara leitet den Bereich Digitalisierung und Netzpolitik beim Handelsverband Deutschland - HDE e. V.einem Verein, der die Interessen des Handels in die Politik hinein vertritt. Im Jahr 2020 hat sie gemeinsam mit Kolleg:innen die Diversity Offensive des Handelsverbandes gegründet – eine Initiative der Mitarbeitenden des Handelsverbandes e. V.. Zudem ist sie sozial und politisch engagiert. Sie ist unter anderem Co-Gründerin der SWANS Initiative und sitzt im Landesvorstand der Grünen hier in Berlin.

Der Handel ist bunt! Diese bekannte Floskel haben Dara und ihr Team in einer groß angelegten Studie zum Thema „Diversity, Equity & Inclusion – wie reif ist der Handel?“ unter die Lupe genommen. Es geht um Vielfalt mit Blick auf die Beschäftigten und die Kund:innen des Handels. Wie divers sind existierende Unternehmensstrukturen und -kulturen? Welchen Wandel gibt es? Und wie finden Sie ein Unternehmen, das im Bereich Diversity aktiv ist? Wir haben die Antworten. Ob Gender Pay Gap, Inklusion, Altersdiskriminierung, Frauenquote, Rassismus oder Klassizismus – Diversity ist längst kein Zukunftsthema mehr, sondern ein immer stärker wachsender Teil vieler Unternehmensstrategien.

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© istockphoto.com
Was genau macht die Diversity Offensive des Handelsverbandes?

Wir platzieren das Thema Diversity aktiv im Handel. Auf der einen Seite bieten wir Workshops, eine Community und Diskussionsrunden für Händler:innen zu Diversity-Themen an, auf der anderen Seite repräsentieren wir die Diversity des Handels nach außen. Wir sammeln anhaltend Best Practices, gestalten Kooperationen und haben eine große Diversity-Studie im Januar 2022 veröffentlicht.

Was genau beinhaltet die Diversity-Studie?

Insgesamt haben wir circa 330 kleine und mittelständische Unternehmen und 50 Konzerne befragt, was sie im Bereich Diversity tun. Von „Diversity? Habe ich schon mal in einer Pressemitteilung erwähnt.“ bis „Diversity ist Teil unserer Strategie.“ ist alles dabei. Diesen Status Quo haben wir in unserer Studie „Diversity, Equity & Inclusion – wie reif ist der Handel?“ manifestiert.

Darüber hinaus ist die Studie ein Handbuch, an dem sich Unternehmen und Arbeitnehmende orientieren können. Wir haben konkrete Handlungsempfehlungen formuliert, die zu einem guten Diversity-Management führen – von Sensibilisierung, Verantwortung im Top-Management, Definition und Erreichbarkeit messbarer Ziele bis hin zur Förderung von persönlichem Engagement der Mitarbeitenden. Mit unserer Diversity-Studie zeigen wir den kompletten Reifegrad der deutschen Unternehmenskultur im Bereich Handel auf.

Als besonderes Highlight haben wir die drei stärksten deutschen Handelsunternehmen (Otto, Metro und Rewe) separat interviewt und somit wertvolle Tipps gesammelt, was diese tun, um Diversity aktiv im Unternehmen zu fördern.

Was wollt ihr als Diversity-Offensive zukünftig im Handel erreichen?

Unser Ziel ist es, dass Handelsunternehmen Diversity als Teil ihrer Unternehmensstrategie etablieren. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass diverse Teams erfolgreicher sind. Deshalb haben wir als Handelsverband ein großes Interesse daran, das Thema in sämtlichen Unternehmenskulturen voranzubringen. Zudem geht es darum, dass auch der Handel den gesellschaftlichen Wandel hin zur Orientierung an Werten nicht nur begleitet, sondern auch aktiv mitgestaltet. Diese Interessen verfolgen wir.

Was bedeutet Diversity für Sie persönlich?

Eine sehr große Chance, dass jede Person mit seinen bzw. ihren Talenten und seiner bzw. ihrer Geschichte das Bestmögliche aus sich herausholen kann – ohne von struktureller Diskriminierung begrenzt zu werden. Denn leider ist es noch immer so: Je mehr Diversity-Merkmale eine Person hat, umso schwieriger ist der Karriereweg. Beispielsweise schreiben Frauen noch immer viel mehr Bewerbungen als Männer, bis sie einen Job bekommen. Sind sie dazu Frauen mit einem Migrationshintergrund schreiben sie noch mehr Bewerbungen. Und haben dazu noch eine Behinderung, schreiben sie dreimal so viele Bewerbungen. Ein Missstand, der nicht zu akzeptieren ist. Ich möchte aktiv dazu beitragen, diese Hürden aus dem Weg zu räumen.

Wie sind Sie mit dem Thema Diversity in Berührung gekommen?

Ich arbeite als Frau mit Migrationsgeschichte in einem Berufsumfeld, das von Männern dominiert wird. Fast all unsere führenden Lobbyisten sind Männer. Ich habe viel erlebt. Deshalb habe ich mich auch früh feministischen Netzwerken angeschlossen und positioniere mich klar zum Thema Diversity.

Mein Schlüsselerlebnis liegt einige Jahre zurück. Ich habe damals in einem anderen Unternehmen gearbeitet. Eines Tages wurde ein neuer Kollege eingestellt. Er hatte nur halb so viel Berufserfahrung wie ich und sein Einstiegsgehalt lag mehrere Hunderte Euro über meinem Gehalt. Ich hatte jedoch bereits zwei Jahre Berufserfahrung im Unternehmen. Er noch gar keine. In diesem Moment dachte ich: Okay, das ist Struktur. Das hat nix mehr mit „Schlecht verhandeln“ zu tun, sondern das ist schlicht und einfach Struktur. Ein Grund, aktiv zu werden.

Gibt es Themen, die Berliner Unternehmen zum Thema Diversity aktuell bewegen?

Ja. Mit dem Start der Black Lives Matter-Bewegung ist struktureller Rassismus in Unternehmen ein großes Thema. Wir brauchen im deutschen Handel mehr PoC (People of Color), BPoc (Black and People of Color) und BIPoC (Black, Indigenious and People of Color) in den Führungsetagen. Führungskräfte sind ein Spiegel der Diversity-Kultur eines jeden Unternehmens.

Zudem erleben wir momentan einen steigenden antislawischen Rassismus. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine werden „vermeintliche“ Russinnen und Russen systematisch ausgegrenzt. Wir verzeichnen mehr als 200 Meldungen von Beleidigungen und weiteren strafrechtlich relevanten Aktionen gegen Bürger:innen mit russischer oder weitestgehend slawischer Herkunft.

Was kann ich als Fachkraft tun, um Diversity in meinem Unternehmen zu fördern?

Gibt es bereits eine Community in Ihrem Unternehmen? Dann werden Sie Teil dieser! Vernetzen Sie sich mit anderen und packen Sie das Thema Diversity gemeinsam an. Sollte es noch keine Community in Ihrem Unternehmen geben, suchen Sie sich Verbündete und sprechen Sie das Thema immer wieder an. Werden Sie nicht müde, Ihre Führungskräfte darauf hinzuweisen, dass mehr Aktivität im Bereich Diversity erforderlich ist.

Sollten Sie Diskriminierung beobachten oder gar erfahren, sprechen Sie diese direkt bei Ihren Vorgesetzten an und fordern Sie beispielsweise eine schnelle Klärung über den Betriebsrat. Mit jedem aktiven Schritt, den sie tun, unterstützen Sie den Diversity-Prozess im Unternehmen.

Wie finde ich als Fachkraft ein Unternehmen, das Diversity als Teil seiner Unternehmenskultur aktiv voranbringt?

Da gibt es viele Wege. Schauen Sie sich die Website des Unternehmens an! Wenn ein Unternehmen aktiv ist, finden Sie dort auch Informationen dazu. Suchen Sie gezielt nach diversen Schlagwörtern wie Frauenquote oder LGBTQIA+! Auch ein Blick in die Führungsetage lohnt sich. Eine diverse Führungsetage spricht für ein Unternehmen, das im Bereich Diversity aktiv ist.

Darüber hinaus können Sie sich unsere Studie anschauen. In dieser erfahren Sie speziell, welche Unternehmen im Bereich Handel aktiv sind. Ein weiterer guter Tipp ist der Verein Charta der Vielfalt e. V.. Dieser hat ein Diversity-Papier herausgebracht, das Unternehmen unterschreiben können. Welches Unternehmen bereits unterschrieben hat, erfahren Sie über die Website des Vereins.

Vielen Dank, Dara.