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Nachhaltiges Arbeiten vs. Arbeiten für Nachhaltigkeit: Das sind die Unterschiede – ein Interview mit Krischan Ostenrath

© Fabian Stuertz

Berlin ist eine Stadt, die Nachhaltigkeit auf vielen Ebenen lebt. Ob bei der Förderung von grünen Technologien, der Entwicklung nachhaltiger Gebäude oder der Umsetzung urbaner Mobilitätskonzepte – die Hauptstadt setzt Maßstäbe. Doch was bedeutet Nachhaltigkeit eigentlich, wenn es um die Arbeitswelt geht? Wie können Berufe so gestaltet werden, dass sie langfristig nachhaltig sind? Und wo liegt der Unterschied zwischen „Arbeiten für Nachhaltigkeit“ und „nachhaltigem Arbeiten“?

Krischan Ostenrath ist eine der führenden Stimmen zu diesem Thema in Deutschland. Als Leiter des Fachbereichs Arbeitsmarkt beim Wissenschaftsladen Bonn (WiLa) und Koordinator des Netzwerks Grüne Arbeitswelt bringt er jahrzehntelange Erfahrung in der zielführenden Vernetzung von Unternehmen und Fachkräften mit. Gemeinsam mit deutschen Ministerien, Firmen und Wissenschaftseinrichtungen entwickelt er Studien und Strategien, die das Ziel verfolgen, Arbeitskräfte für die Nachhaltigkeit zu gewinnen und die Zufriedenheit auf beiden Seiten – bei Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen – zu stärken.

Doch trotz wachsender Aufmerksamkeit gibt es immer noch viele Missverständnisse über Nachhaltigkeit auf dem Arbeitsmarkt. In diesem Interview beleuchten wir gemeinsam mit Krischan zentrale Fragen: Wie erkennt man einen nachhaltigen Job? Wo finde ich diese Jobs? Und was sollte man bei der Berufswahl beachten, um bewusst nachhaltige Entscheidungen zu treffen? Erfahren Sie von einem echten Experten, wie Nachhaltigkeit nicht nur die Arbeitswelt verändert, sondern auch neue Chancen eröffnet.

Was bedeutet „nachhaltiges Arbeiten“ für Sie?

Nachhaltiges Arbeiten ist mehr als ein Schlagwort – es beschreibt ein Gleichgewicht zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten am Arbeitsplatz

Ein nachhaltiger Job zeichnet sich durch faire Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen, eine integrative Unternehmenskultur, ökologische Verantwortung und vielfältige Karrieremöglichkeiten aus.

Um es vereinfacht zu sagen: Ein Job im Umweltschutz ist nicht unbedingt ein nachhaltiger Job, wenn die Arbeitsbedingungen schlecht sind. Beispielsweise gab es in der Windenergie früher einen hohen Anteil an Leiharbeit – eine Form der Beschäftigung, die nicht nachhaltig ist. Doch jede Person entscheidet individuell, welche Faktoren für einen selbst wichtig sind.

Was bedeutet „Arbeiten für die Nachhaltigkeit“ für Sie?

Arbeiten für die Nachhaltigkeit bedeutet, die eigenen beruflichen Fähigkeiten gezielt für den Klimaschutz einzusetzen. Das ist in fast jedem Berufsfeld möglich – vom Stadtplaner über die IT-Spezialistin bis hin zur Landwirtin.

Ein Beispiel: Als Fachkraft im Einzelhandel können Sie entscheiden, ob Sie für ein Fast-Fashion-Unternehmen oder ein nachhaltiges Modelabel arbeiten möchten. Die Tätigkeiten ähneln sich, doch der Einfluss auf die Umwelt ist ein völlig anderer.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei Ihrer Jobwahl?

Für mich steht fest: Ich möchte in einem sozialen und ökologischen Unternehmen arbeiten. Beim Wissenschaftsladen (WiLa) finde ich ein offenes, diverses Umfeld, in dem sogar mehr Frauen als Männer arbeiten – das empfinde ich als bereichernd. Als NGO sind wir ein demokratisch organisiertes Unternehmen, das aktiv zum Klima- und Umweltschutz beiträgt. Diese Werte und Strukturen haben meine Berufswahl entscheidend geprägt.

Können Sie Berufe nennen, die auf den ersten Blick nicht „grün“ sind, aber zur Nachhaltigkeit beitragen?

Es gibt keine eindeutig „grünen“ Berufe – vielmehr Tätigkeiten, die zur Nachhaltigkeit beitragen können. Ihre persönliche berufliche Qualifikation entscheidet, wo Sie einen Unterschied machen können.

Ein Beispiel: Mit Kommunikationsfähigkeiten können Sie in der PR-Abteilung eines Unternehmens für erneuerbare Energien oder in einer klassischen Werbeagentur arbeiten. Oder als Bankkauffrau können Sie sich zwischen einer nachhaltigen und einer konventionellen Bank entscheiden.

 Wichtig ist, sich die Frage zu stellen: Wo kann ich mit meinen Fähigkeiten am meisten bewirken?

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Missverständnisse in Bezug auf nachhaltige Jobs?

Es gibt zwei Perspektiven: die der Arbeitnehmer:innen und die der Arbeitgeber:innen.

Arbeitnehmer:innen unterschätzen oft, dass im Klima- und Umweltschutz vor allem Fachkräfte gesucht werden und keine Menschen, die beispielsweise eher Fahrrad als Auto fahren. Ohne eine fundierte Ausbildung oder ein Studium ist es schwer, wirklich etwas für das Klima und die Umwelt zu bewirken.

Arbeitgeber:innen hingegen setzen oft auf grünes Branding, um Fachkräfte zu gewinnen. Doch oberflächliches Marketing beeindruckt nicht, vor allem die junge Generation schaut genau hin. Nachhaltige Jobs müssen alle Dimensionen – ökologisch, ökonomisch und sozial – abdecken.

Welche Lösungen sehen Sie für diese Missverständnisse?

Für Arbeitgeber:innen gilt: Authentische Kommunikation ist entscheidend. Sprechen Sie offen über den Stand Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und schaffen Sie attraktive Rahmenbedingungen. 

Arbeitnehmer:innen sollten mutig und neugierig verschiedene Berufsfelder ausprobieren. Praktika sind ideal, um Berufe kennenzulernen und realistische Eindrücke zu gewinnen. 

Wo finden Fachkräfte Jobs für die Nachhaltigkeit in Berlin?

Berlin bietet zahlreiche Möglichkeiten. Große Umweltverbände wie der BUND oder Greenpeace, spezialisierte Unternehmen wie Ökofrost oder i+m Naturkosmetik sowie Bildungsträger wie Life e. V. sind nur einige Beispiele. Auch Stiftungen wie die Stiftung Naturschutz Berlin oder die Stiftung KlimaWirtschaft bieten spannende Optionen, aber auch Fachverbände wie der Zentralverband Gartenbau e. V..

Eine gute Orientierung bieten Jobplattformen wie greenjobs oder JOB VERDE, die sich auf nachhaltige Karrieren und „grüne“ Jobs spezialisiert haben. Empfehlenswert ist zudem ein Blick auf das Who is Who des Netzwerks Grüne Arbeitswelt, des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft und des Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (BAUM) e. V..

Woran erkennen Fachkräfte ein nachhaltiges Unternehmen?

Eine pauschale Antwort gibt es nicht, aber Checklisten helfen, wichtige Kriterien zu prüfen: Wie wird die Bezahlung geregelt? Wie hoch ist der ökologische Impact? Wie integrativ ist die Unternehmenskultur? Recherchieren Sie solche Informationen online, bevor Sie sich bewerben. Unsere Checkliste Nachhaltige Unternehmen unterstützt Sie dabei.

Wie sehen Sie die Zukunft nachhaltiger Berufe in Berlin?

Die Zukunft liegt klar in umweltorientierten Dienstleistungen und nachhaltigen Jobs. Besonders in Bereichen wie Verkehr, Stadtplanung und Energiemanagement sehe ich großes Potenzial. Berlin wird meiner Einschätzung nach weniger Jobs im Bereich Produktion bieten, sondern sich stärker auf Entwicklung und Dienstleistungen konzentrieren. Entscheidend ist, diesen Berufen eine langfristige Stabilität zu geben, um Talente in der Stadt zu halten.

Vielen Dank für das Interview, Krischan.