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New Work: Wie verändert das Arbeitsmodell unser Berufsleben? – ein Interview mit Prof. Dr. Rainer Zeichhardt

© Prof. Dr. Rainer Zeichhardt

„New Work ist mehr als Lohnarbeit mit Dekoration. Sie ist Erlösung.“ – als wir Prof. Dr. Rainer Zeichhardt zum Interview über New Work treffen, zitiert er direkt Frithjof Bergmann, den Urvater der Bewegung. Als Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalführung und Leadership sowie Prorektor für Innovation und Digitalisierung an der BSP Berlin (Business & Law School) forscht und lehrt Zeichhardt seit mehr als zehn Jahren zu diesem Thema. 

Und so viel steht fest: New Work ist in Berlin angekommen und prägt unsere Art zu leben und zu arbeiten wie nie zuvor. Der Begriff ist nicht nur ein Trend, sondern beschreibt vielmehr eine tiefgreifende Transformation, die die Berliner Arbeitswelt verändert. Als Schmelztiegel der Kreativität und Innovation dient unsere Stadt als mikrokosmisches Labor für diese Transformation – begleitet von Wissenschaft und Praxis. 

Prof. Dr. Zeichhardt ist in dieser Transformation sehr aktiv. Er ist nicht nur Wissenschaftsbotschafter der Berliner Brain City Kampagne, sondern auch Teil eines Projektes im Mittelstand-Digital Zentrum Zukunftskultur, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird. Das Team beschäftigt sich mit dem digitalen Wandel. In Workshops, Interviews und Publikationen findet ein Wissenstransfer zwischen Unternehmen, Wissenschaft und Politik statt. Zeichhardt’s Schwerpunkt liegt darauf, wie sich die Digitalisierung aus menschlicher Sicht mit Blick auf Unternehmenskulturen, Kommunikation und Führungsverhalten verändert.

Gemeinsam mit ihm werfen wir heute einen Blick auf das Phänomen New Work. Was ist New Work überhaupt? Welchen Impact hat New Work auf uns? Wie verändert New Work unser Leben? Und welche Entwicklung können wir in der Zukunft erwarten? Lesen Sie selbst.

Was ist New Work? 

Das ist eine gute Frage. Der Begriff ist aktuell ein Label, das gern verwendet wird. Schauen wir aber mal genau hin, wird New Work überall unterschiedlich verstanden. Wir haben uns viel mit dem Thema beschäftigt. Zum einen umfasst der Begriff das medienvermittelnde Arbeiten, z. B. im Homeoffice über Projektmanagement- und Kommunikations-Tools, zum anderen geht es um selbstbestimmtes Arbeiten, z. B. die Organisation von Arbeitsplatz und -zeit. Darüber lernen wir viel von den Start-ups, Digital Units und Hubs Berlins. Diese Interpretation betrifft jedoch ausschließlich Berufe, die mit Wissen arbeiten, und weniger Jobs im Schicht- oder direkten Dienstleistungsbetrieb. 

Beleuchten wir das Thema aber mal tiefer, dann kommen wir immer wieder zu dem Philosophen Frithjof Bergmann zurück, dem Urvater der New Work-Bewegung. Laut Bergmann geht es nicht nur um Lohnarbeit, sondern darum, was Menschen wirklich wirklich wollen – das „wirklich“ benennt er bewusst doppelt. Es geht um Arbeit als Möglichkeit der Selbstverwirklichung – darum, Erfüllung und eine sinn-stiftende Arbeit (purpose-driven) zu finden. Diese Interpretation von New Work ist breit gefächert, da sie eine sehr individuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Berufstätigkeit und den persönlichen Werten ermöglicht

Welche Erfahrungen haben Sie mit New Work?

Ich konnte bereits Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven sammeln. In meiner Arbeit als Professor an einer Hochschule habe ich Freiräume in Raum und Zeit, um einen Teil meiner Arbeit zu erledigen – unter anderem wenn ich publiziere oder konzeptionell arbeite. 

Weiterhin komme ich über digitale Festivals wie z. B. die re:publica oder Hub Berlin mit New Work in Kontakt, wenn ich forsche und lehre. Ich organisiere Workshops und nehme an Kongressen teil, in denen ein spannender interdisziplinärer Wissenstransfer zu neuen Organisations- und Arbeitsformen stattfindet. Ich bin immer im Austausch mit Kolleg:innen – ein ständiger Wechsel zwischen Praxis und Theorie

Zudem stehe ich im engen Austausch mit unseren Studierenden. Da ich diese bei Abschlussarbeiten, projektbezogenen Studienphasen und Praktika begleite, erhalte ich wertvolle Insights in viele unterschiedliche Berliner Unternehmen und deren Konzepte. Das Thema New Work steht oft im Mittelpunkt. Erst neulich habe ich Arbeiten über „Vertrauen in virtuellen Kontexten“ und „Mindful Leadership: Achtsamkeit und Führung“ betreut. Sehr spannend.

Was unterscheidet New Work eigentlich von „Old Work“?

New Work gibt es eigentlich schon länger und Old Work gab es als Begriff nie. Das Thema reicht bis hin zur ersten Industriellen Revolution zurück. Am markantesten ist jedoch der Mindset-Shift von altem zu neuem Denken zu verstehen, wenn es um Arbeitsorganisation, Führungsverständnis, Menschenbilder und eben das Sinn-stiftende geht. New Work hinterfragt starre Organisationsverständnisse, traditionellen Menschenbildern und hierarchischen Führungskonzepten.

Welchen Impact hat New Work auf mich als Fachkraft? 

New Work unterstützt ganz klar die Persönlichkeitsentwicklung. Das entgrenzte Arbeiten stärkt Eigenverantwortung, Empowerment und Selbstverständnis. Im Idealfall führt New Work zu mehr innerer Zufriedenheit. Dennoch ist es mir wichtig zu sagen, dass das Konzept nicht für jede Person geeignet ist. Es ist eine Option, eine Alternative.

Ich möchte New Work nicht werten. Es ist kein besseres Konzept, sondern ein anderes bzw. weiteres. Viele Menschen möchten gar nicht entgrenzt von Raum und Zeit arbeiten oder wünschen sich sogar klare Anweisungen und Strukturen, um erfolgreich arbeiten zu können. Andere wiederum möchten sich auch gar nicht im Beruf verwirklichen, sondern abseits der Arbeit. Alle Ansätze haben ihre Möglichkeiten und Grenzen. 

Woran erkenne ich, dass Unternehmen New Work wirklich leben und nicht als Buzzword im Recruiting einsetzen?

In der Tat wird der Begriff New Work gern als Label genutzt. Wenn Sie ein Unternehmen genauer beleuchten, unterscheiden Sie klar zwischen den Dingen, die in Social Media gepostet oder in Hochglanz-Broschüren gedruckt werden, und der Realität. Ein Tischkicker, das Firmenfahrrad, Freibier oder der Obstkorb sind keine Garantien für New Work. New Work sollte tief in der Unternehmenskultur verankert sein. Also beschäftigen Sie sich intensiv mit dem Unternehmen und versuchen Sie, ganzheitliche Einblicke in die jeweilige Unternehmenskultur zu bekommen. 

Folgende Fragen können dabei beispielhaft helfen: Welche Regeln gibt es zu den Themen Homeoffice und hybrides Arbeiten? Existieren besondere Organisationsmodelle, z. B. eine Holokratie? Gibt es konkrete Frameworks für agiles Arbeiten wie z. B. Scrum? Existieren Leitlinien für selbstorganisierte Projekte oder Leitmaximen zum Thema Zusammenarbeit? Wenn Sie Dinge dieser Art vorfinden, können Sie davon ausgehen, dass sich bereits tiefer mit New Work befasst wurde. 

Am besten Sie nehmen direkten Kontakt mit dem Unternehmen auf. Oder besuchen Sie eine Firmenkontaktmesse oder einen Tag der offenen Tür und stellen Sie Ihre Fragen dort. Verfolgen Sie das Unternehmen bei LinkedIn und Xing – auch über die Aktivitäten der Mitarbeitenden. Vernetzen Sie sich generell mit Menschen, die bereits im Unternehmen arbeiten und fragen Sie nach den persönlichen Erfahrungen. Wenn Sie zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden, erfragen Sie den konkreten Umgang mit New Work. Das sind alles Möglichkeiten, mehr herauszufinden.

Worauf muss ich mich einstellen, wenn ich einen Job in einem Unternehmen mit New Work annehme?

Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie Ihre Komfortzone verlassen werden. Trotz Homeoffice und freier Zeiteinteilung ist New Work in der Praxis sehr anspruchsvoll. Sie brauchen das passende Mindset, Flexibilität und Selbstverantwortung. Wenn traditionelle Ansätze auf New Work-Ansätze treffen, entsteht immer Konfliktpotenzial. Stellen Sie sich darauf ein, dass nicht jede Person ein:e Befürworter:in ist. Haben Sie Vertrauen in den Prozess und lernen Sie auch, die andere Seite zu verstehen. 

Gibt es aktuelle Trends im Bereich New Work, die für mich als Fachkraft interessant sind?

Ja, wir beobachten neue Organisationsmodelle. Im Trend liegt beispielsweise das rollenbasierte Führungsmodell, welches traditionelle Hierarchien aufbricht – auch Holokratie genannt. Menschen organisieren sich themenspezifisch in Rollen und kommen in Kreisen zusammen, um ihre Expertise in Diskussionen einzubringen. Eine klassische Hierarchie ist dabei komplett irrelevant, vielmehr zählen die spezifischen Rollen der Mitarbeitenden.

Ein anderes Thema ist New Pay. New Pay beschäftigt sich damit, wie sich Entlohnungsmodelle verändern können. So wird es beispielsweise zunehmend möglich sein, das Gehalt individuell auszuhandeln – orientiert an einem Gesamtbudget, das der Gemeinschaft des Unternehmens zur Verfügung steht. Es herrscht volle Transparenz, wer wie viel verdient. 

Aber auch die Vier-Tage-Woche und Workation sind heiß in der Diskussion. Eine kürzere Arbeitswoche und die freie Wahl des Arbeitsplatzes stehen gerade bei jüngeren Arbeitnehmenden hoch im Kurs. 

Welche Berliner Unternehmen haben New Work bereits erfolgreich integriert? 

Zunächst möchte ich auf fast alle Berliner Start-ups verweisen, die sich intensiv und vorbildlich mit dem Thema Hybrides Arbeiten und Remote Work auseinandersetzen. Hier entstehen immer wieder attraktive und erfolgreiche Konzepte, in denen New Work gelebt wird. 

Aber auch in etablierten Unternehmen gibt es viele moderene Entwicklungen. Ein Beispiel ist die Gesundheitskasse AOK. Das Unternehmen hat gerade einen kompletten Bereich im Berliner Firmensitz umgestaltet. Die klassischen Arbeitsplätze wurden entfernt und die Atmosphäre gleicht nun einem Boutique-Hotel mit offener Küche, kreativen Ecken, Rückzugsmöglichkeiten und Raum für Gruppenarbeiten. Das Interessante ist, dass hier eine neue Arbeitsatmosphäre parallel zur traditionellen aufgebaut und erprobt wird. 

Zudem hat die Beratung HRpepper im Rahmen eines Change-Projektes die klassischen Hierarchien aufgebrochen und organisiert sich stattdessen nun in rollenbasierter Führung. Aber auch viele kleine und mittelständische Berliner Unternehmen (KMU) testen aktuell die Vier-Tage-Woche, ohne sich das Thema New Work auf die Fahne zu schreiben. Darüber hinaus ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein zentrales Thema in den KMUs – ein wichtiger Aspekt von New Work. 

Wie sehen Sie das Thema New Work in Berlin im internationalen Vergleich?

Berlin bietet sehr viele Möglichkeiten. Die Stadt ist attraktiv für Top-Talente aus der ganzen Welt. Berlin ist ein Schmelztiegel für progressive Ideen. Der Mix aus Interkulturalität, Interdisziplinarität und Intergenerationalität prägt den Weg für New Work. Viele Menschen wollen hier Arbeiten und Leben erfolgreich zusammenführen. Somit reagiert die Stadt mit digitalen Möglichkeiten und Angeboten. Berlin spielt in einer internationalen Liga mit den großen Metropolen der Welt.

Wo sehen Sie das Thema New Work heute in fünf Jahren?

Das Thema Hybride Arbeit wird weiterhin eine große Rolle spielen. Online oder offline zu arbeiten, ist gut abgrenzbar, aber das Arbeiten in hybriden Welten stellt besondere Herausforderungen dar. Hierfür ist es wichtig, weitere Konzepte zu erproben. Wie können wir effizient sowohl im Homeoffice als auch in Präsenz arbeiten? Das ist ein Thema der Zukunft. Genau wie die Entwicklungen rund um das Thema „Künstliche Intelligenz“. 

Wie verändert künstliche Intelligenz die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten? Welche Tätigkeiten übernehmen die Maschinen, welche wir Menschen? Wie wird die Interaktion zwischen Mensch und Maschine aussehen? Welche wirklich sinnvollen Aufgaben können wir Menschen übernehmen, wenn wir durch Maschinen in Routineaufgaben entlastet werden? Ich bin sicher, dass wir in fünf Jahren mehr Antworten auf diese Fragen haben. 

Vielen Dank für Ihre Zeit, Prof. Dr. Zeichhardt.
UNSER TIPP:

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