„Wer sich in einem akademischen Umfeld bewegt, weiß es oft nicht besser.“, sagt Dr. Manuela Schuetze, als wir sie zum Interview treffen. Sie selbst hat eine exzellente wissenschaftliche Karriere hinter sich und dachte immer, dass sie nur in der Wissenschaft Erfüllung finden würde – bis zu einer bestimmten Erfahrung, die ihre Ansichten komplett verändert hat. Ist ein Job in der Wirtschaft doch eine Option? Ist es sogar möglich, dass mich dieser mehr erfüllt? Aus ihren Gedanken wurde ein neuer Karriereweg, dessen Vorteile sie in folgendem Artikel mit uns teilt.
Dr. Manuela Schuetze ist Neurowissenschaftlerin und arbeitet als Teamlead Current Business DACH bei der Minddistrict GmbH. Gemeinsam mit ihrem Team erweitert sie das Feld psychotherapeutischer Behandlungen und implementiert mit der Minddistrict-Plattform digitale Anwendungen in Krankenhäusern, Tageskliniken und Ambulanzen. Patient:innen können diese rund um die Uhr nutzen, um an ihrer Genesung zu arbeiten.
In Ihrem Job darf sie endlich Wissenschaftlerin und Projektmanagerin in einem sein. Ein Weg, den sie sich immer gewünscht hat, sehr schätzt und so nur in der Wirtschaft gefunden hat. „Menschen direkt helfen zu können, gibt mir mehr, als ein Paper zu schreiben und es zu veröffentlichen.“, so Dr. Manuela Schuetze.
Bei Mindistrict setzt sie auf empathic Leadership, entwickelt Konzepte und findet Hand in Hand mit den leitenden Personen gesundheitlicher Institutionen immer neue Möglichkeiten, diese anwendbar für Patient:innen zu gestalten. Dabei lernt sie jeden Tag viel Neues. Neues lernen in der Wirtschaft? Ja, das geht und ist nur eines der Vorurteile, mit dem sie in folgendem Interview aufräumt, wenn es um einen Job als erfolgreiche Wissenschaftlerin in der Wirtschaft geht.
Wie hat sich Ihre wissenschaftliche Karriere gestaltet?
Nachdem ich meinen Bachelor in Linguistik an der Universität Potsdam gemacht habe, bin ich nach Osnabrück gegangen, um meinen Master in Cognitve Science zu absolvieren. Die Masterarbeit habe ich dann über die Universität Osnabrück am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in den Niederlanden geschrieben. Dort war ich anschließend noch zwei weitere Jahre als Research Assistent im Bereich Psycholinguistik tätig. Eine tolle Zeit. Ich durfte an vielen EEG- und MRT-Studien forschen. Das war sehr interessant.
Die Zeit am Institut hat mein Interesse für mentale Gesundheit (Mental Health) geweckt und ich habe begonnen, mich zunehmend mit dem Thema, insbesondere mit Sprachstörungen und Autismus, zu beschäftigen. Im Jahr 2014 habe ich dann eine PhD-Stelle (wissenschaftliches Forschungsdoktorat) zum Thema „Verarbeitung von Belohnung bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus“ in Kanada gefunden und bin nach Kanada gegangen. Insgesamt war ich fünf Jahre dort, bevor es 2018 zurück nach Berlin ging. Die Bedingungen in meinem PhD waren traumhaft mit einer Betreuerin, die mich in allem unterstützt hat, so dass selbst die Geburt meiner Tochter mich ermutigt hat, weiterhin in der Wissenschaft zu bleiben.
Wie sind Sie dann zu einem Job in der Wirtschaft gekommen?
Ich hatte bereits von Kanada aus nach Postdoc-Stellen (Job nach der Promotion) in Berlin gesucht und führte sämtliche Jobinterviews über Zoom. Ich wurde fündig und entschied mich gemeinsam mit meinem Mann für einen befristeten Job am Deutschen Institut für Ernährungsforschung, die ein gemeinsames Projekt mit der Charité Berlin für mich bereithielten.
Leider war diese Stelle ganz anders, als ich es mir gewünscht hatte. Ich habe das Umfeld als sehr toxisch empfunden und gemerkt, dass ich mich zunehmend in der Wissenschafts-Bubble unwohl fühlte. Meine Tochter war zu dem Zeitpunkt zwei Jahre alt und mir war es von Anfang an wichtig, dass sich Beruf und Familie gut vereinbaren lassen. Ein Aspekt, den die Wissenschaft immer sehr betont, aber im realen Leben eben doch nicht umsetzt. Das System Wissenschaft ist einfach nicht darauf ausgelegt, junge Eltern zu unterstützen. So ist zumindest meine Erfahrung.
Für mich wurde die Situation so unerträglich, dass ich mich entschieden habe, die Stelle ohne weitere Jobperspektive zu kündigen. Eines wusste ich genau: In der Wissenschaft sollte meine Karriere nicht weitergehen. Also meldete ich mich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend und sprach zum ersten Mal darüber, dass mich der Bereich Projektmanagement interessiert und ich gern eine Weiterbildung machen würde. Das war problemlos möglich, aber ich habe mich parallel bereits hier und da beworben.
An dem Tag, an dem meine Weiterbildung starten sollte, bekam ich die Zusage von einer dieser Bewerbungen, und zwar beim glyconet Berlin Brandenburg – einem Netzwerk von Wissenschaftler:innen und Unternehmer:innen der Glykobiologie und Glykobiotechnologie in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg. Das war zwar „nur“ eine Elternzeitvertretung, aber ich habe mich sehr auf diese neue Erfahrung gefreut!
Es war eine tolle Zeit. Ich bin so sehr aufgeblüht und habe so viele Talente in mir entdeckt. Organisation, Zeitmanagement – ich durfte ganze Konferenzen organisieren. Es war eine durchweg positive Erfahrung mit neuen Aufgaben und Herausforderungen. Dabei habe ich auch erfahren, dass Wertschätzung durchaus regelmäßig erfolgen kann und nicht bloß eine Ausnahme bei großen Ergebnissen stellen kann. Ich war überwältigt und wusste, dass ich in der Wirtschaft angekommen bin. Mir fehlte dann lediglich auf Dauer mein Herzensthema „Mental Health“. Das war der Grund, warum ich mich weiterhin umgeschaut habe.
Was macht einen Jobwechsel von der Wissenschaft in die Wirtschaft, Ihrer Meinung nach, attraktiv?
Ein gutes Unternehmen investiert in die Mitarbeitenden. Es spielt eine große Rolle, wie es dir ganzheitlich geht, denn Unternehmen wollen dich nicht verlieren, wenn du gute Arbeit leistet. Die Wissenschaft hingegen ist sogar darauf ausgerichtet, dass Mitarbeitende weiterziehen. Ein:e Doktorand:in bleibt nicht lange, ein:e Masterstudent:in schon mal gar nicht und Postdocs ziehen nach circa zwei Jahren weiter. Aber die Labore müssen sich ja durchgehend tragen, deswegen bauen sie auf ein System mit Fluktuationen.
Zudem erfahre ich in der Wirtschaft mehr Wertschätzung und Support. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird mir möglich gemacht. Durch agiles Arbeiten erreichen wir als Team schnellere Ergebnisse und feiern somit auch mehr Erfolge als in der Wissenschaft. Im Allgemeinen schauen wir in meinem Team, wer welche Aufgaben am besten bewältigen kann und verteilen diese dementsprechend. Wissen Sie, wenn ich 70 Prozent meiner Aufgaben gut kann und gerne mache, dann fallen die 30 Prozent der Aufgaben, die einem nicht so liegen, auch einfacher. In der Wissenschaft beißen sich viele permanent durch. Das ist nicht immer gut für die eigene mentale Gesundheit.
Auch finanziell ist ein Job in der Wirtschaft attraktiver. Und das ist eben auch ein Teil von Wertschätzung. Zudem haben Sie mehr Auswahl an Jobs. In der Wissenschaft sind Karrieren oft vorbestimmt. Die Wirtschaft bietet mehr Möglichkeiten, was Sie aus und mit Ihren Talenten machen können.
Warum haben Sie sich einen Job in Berlin gesucht?
Mir war es wichtig, dass meine Tochter mit ihrer Familie aufwächst. Ich bin in Berlin geboren und ihre Großeltern leben hier. Und mein Mann war schon immer ein Deutschland-Fan. Er ist aus Großbritannien, in London aufgewachsen und hatte bereits seinen Doktor hier gemacht.
Im internationalen Vergleich bietet Berlin ein gutes Sozialsystem, Englisch ist hier die zweite Muttersprache und die Infrastruktur ist privat wie beruflich ideal. Mein Mann und ich schätzen die Berliner Lässigkeit. Hier finden Sie wenig Etikette, die Stadt ist locker drauf. Nach dem Feierabend sitzt man halt einfach mit einem Getränk am Späti, anstatt in teuren Clubs zu feiern. Das mögen wir. Berlin bietet eine gute Work-Life-Balance.
Welchen Tipp haben Sie für Frauen mit wissenschaftlicher Laufbahn, die Karriere in der Wirtschaft machen wollen?
Vernetzt euch mit anderen Frauen! Das ist das Beste, was ihr machen könnt. Es braucht nicht immer ein teures Mentoring-Programm. Nutzt Plattformen wie LinkedIn für Networking und unterhaltet euch mit anderen Frauen über deren Karrierewege. Das habe ich auch gemacht.
Ich habe viel Zeit auf LinkedIn verbracht, mir Profile angeguckt und geschaut, wer ist wo beruflich verankert. Wenn ich eine Frau und ihren Karriereweg interessant fand, habe ich sie einfach angeschrieben und meine Fragen beispielsweise in einem Coffee-Talk gestellt. Daraus ist sogar eine WhatsApp-Gruppe entstanden. Wir nennen diese „Damensalon“, treffen uns aller sechs Wochen und tauschen uns über unsere Jobs, Familien und Karrieren aus. Das ist sehr hilfreich.
Mein Problem war einfach, dass mein ganzes Umfeld aus der Wissenschaft kam. Ich hatte wenig andere Perspektiven. Die Wissenschaft ist ein Bubble, in der man sich oft gegenseitig bestätigt, dass es nichts Besseres gibt und schwierige Hierarchien, unsichere Perspektiven und Arbeiten am Wochenende eben einfach dazugehören. Das Vernetzen mit den Frauen hat meinen Blickwinkel erweitert. Ich habe sogar meinen jetzigen Job über einen LinkedIn-Post gefunden. Ein Freund hatte mir diesen weitergeleitet.
Probieren Sie es aus und denken Sie daran: Der erste Job in der Wirtschaft muss nicht der perfekte Job sein. Nehmen Sie den Druck raus und sammeln Sie Erfahrungen. Schauen Sie in den Jobanzeigen weniger auf die Jobtitel und mehr auf die Aufgabenfelder. Dort werden Sie interessante Parallelen zu Ihren Fähigkeiten finden.
Darüber hinaus kann ich gerade für Wissenschaftlerinnen, die aus dem Ausland kommen, die German Scholar Organziation empfehlen. Die Organisation begleitet Sie auf ihrem individuellen Karriereweg mit Förderprogrammen und weiteren Angeboten. Dort spricht man mit Ihnen offen darüber, was sie als Wissenschaftlerin für die Wirtschaft tun können. Sie werden überrascht sein, welche Optionen für Sie bereitstehen. Nur Mut!